Düstere Gedanken zum Wintermorgen: Die Zeichen stehen auf Cyberwar

Von meinen beiden Grossvätern sagt man, dass sie im Juli 1914 zusammen mit ihren Kameraden hurrabegeistert in den Krieg gegen Frankreich zogen. Sie wollten den „Franzosen mit den roten Hosen“ mal so richtig zeigen, zu welch heroischen Taten man befähigt ist, wenn denn nur die wahrhaftige Begeisterung für die gerechte Sache vorhanden sei.

Sie waren bereit für den Kampf Gut gegen die Böse.

Vier Jahre später kehrten beide an Leib und Seele verwundet zurück vom grossen Schlachten. Nein, das hatten sie nicht gewollt.

Möglich, dass einige das als absurden Vergleich abtun werden, wenn ich von meinen Grossvätern in nur einem Abschnitt zu WikiLeaks überleite.

WikiLeaks steht dafür, dass nicht nur Lady Gaga-Videos auf Youtube innert Stunden ein Millionenpublikum finden, sondern dass sich Millionen von sensitiven Dokumenten in Minuten rund um den Globus verteilen lassen.

So etwas hat die Welt noch nie erlebt.

Doch für mich sind nicht mehr die veröffentlichten Dokumente aus amerikanischen Regierungscomputern das Thema, sondern die Folgen dieser Veröffentlichungen.

Hurrabegeistert

Seit Tagen legen anonyme Internetuser hurrabegeistert Unternehmenswebsite um Unternehmenswebsite flach. In der Schweiz war es die Website von Postfinance, in den USA PayPal, Mastercard und Visa.

Die Anonymi kämpfen den Kampf Gut gegen Böse.

Sie zeigen den Mächtigen in Politik und Wirtschaft, zu welch heroischen Taten sie fähig sind, schliesslich werden sie von der Begeisterung für die gerechte Sache beflügelt.

Die erschreckende Erkenntnis nach einer Woche: Keine Website der Welt ist mehr vor willkürlichen Aktionen des aufgebrachten Mobs sicher.

Waren es früher Hacker mit speziellen Kenntnissen, die zu solchen Taten fähig waren, so sind es zum Erstaunen von uns allen plötzlich stinknormale Internetuser.

Wir können nur hoffen, dass es sich tatsächlich um Jugendliche und ein paar verwirrte Alltagsbürger handelt, die es grossartig finden, nicht mehr auf die Strasse gehen zu müssen, um den Klassenfeind zu bekämpfen. Zumal bei diesen eisigen Temperaturen.

Hoffen deshalb, weil wir nicht wissen, ob nicht bereits kriminelle Vereinigungen, Militärs und Geheimdienste als Trittbrettfahrer neue Kampfmittel und Angriffsmethoden testen.

Der Begriff vom Cyberwar geistert nicht umsonst durchs Web.

Kriege beginnen unscheinbar

Ja, ich bin sehr pessimistisch, wenn ich an die weitere Entwicklung denke. Schliesslich ist die Onlinekommunikation mein Fachgebiet.

Kriege beginnen immer unscheinbar. Man schlittert so rein und denkt, na ganz so schlimm wird es wohl nicht werden.

WikiLeaks könnte für uns alle eine Zäsur bilden, den Beginn einer völlig neuen Internetordnung. Diese wird geprägt sein durch mehr Kontrolle und Überwachung der inzwischen 2 Milliarden Internetbürger.

Im allerschlechtesten Fall haben wir die Vorstufe eines Kriegs erreicht. Das Umfeld ist günstig: hoch verschuldete Staaten ohne jegliche Aussicht auf verbesserte Finanzen, Kampf um Märkte und Rohstoffe, soziale Unruhen in Industriestaaten, wirtschaftliche Erfolge diktatorischer Systeme, unsichere Währungen, Terroraktionen, gescheiterte Staaten, und so weiter und so fort und dazu auch noch die Unberechenbarkeit von 30 % der Weltbevölkerung im Internet.

Kein Staat, kein Unternehmen, keine Rechtsordnung kann akzeptieren, dass ein anarchistischer Schwarm von ein paar Tausend Usern sich auf willkürlich ausgewählte Unternehmen, staatliche und private Organisationen stürzt und deren Website – das heisst heutzutage, deren Geschäftstätigkeit – für Stunden oder gar Tage lahmlegt.

Die Zeichen stehen auf Cyberwar.

Gartner-Prognose

PS: Mit dieser Einschätzung bin ich offensichtlich nicht allein. Die Analysten von Gartner, dem weltweit führenden Beraterunternehmen für IT, haben eben ihre Entwicklungsprognose für die nächsten fünf Jahre veröffentlicht. Sie haben acht Thesen entwickelt, eine davon lautet so:

Bis zum Jahr 2015 werden kritische Infrastrukturen der G20-Staaten durch Online-Sabotage beschädigt und zerstört. Solche Angriffe können auf verschiedene Systeme gleichzeitig abzielen, um maximale Auswirkung zu garantieren: Beispielsweise auf Börsen, Chemie-, Nuklear- und Energie-Konzerne und die Mobilkommunikation. Solche multimodalen Angriffe können – über den direkten Schaden hinaus – langfristige Folgen haben. Ähnlich wie die Auswirkungen der Terroranschläge vom 11. September bis heute zu spüren sind.

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